UNESCO-Welterbe und Nachhaltigkeit
Unsere Partizipation als Recht und Verpflichtung zugleich.
Nachhaltigkeit, definiert als eine Dimension, die heute bei allen politischen Entscheidungen berücksichtigt werden soll, wurde spätestens seit 1972 als eine Priorität im weltweiten Kontext gefordert. Damals trafen sich in Stockholm auf der UN-Konferenz über menschliche Umwelt die zuständigen Vertreter/innen aus Staaten, darunter auch eine Handvoll Umwelt-Minister (mehr gab es nämlich damals nicht).
Ein Ergebnis war die Gründung von UNEP (United Nations Environment Programme) gewesen, dem Umwelt-Programm der Vereinten Nationen. Zu einer Umwandlung des Programms, das sich hauptsächlich aus freiwilligen Spenden finanzieren muss, in eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit eigener Mitgliedschaft und einem durch Pflichtbeiträge finanzierten Haushalt ist es bis heute nicht gekommen, obwohl sich zwischenzeitlich Deutschland und Frankreich dafür stark gemacht haben.
Parallel hierzu wurde von der UNESCO das "Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt", abgekürzt auch als Welterbe-Konvention bezeichnet, erarbeitet und im November 1972 verabschiedet. Beide Aktivitäten hingen eng miteinander zusammen. Es gab auch eine intensive Kommunikation untereinander. So wurde zum Beispiel auf der Stockholm-Konferenz darauf hingewiesen, dass der Entwurf zur Welterbe-Konvention einen bedeutenden Beitrag zum weltweiten Schutz der Umwelt darstellt.
Weder in der Stockholm-Erklärung noch in der Welterbe-Konvention tauchte der Begriff "Nachhaltigkeit" auf. Aber es soll hier daran erinnert werden, dass die Idee vom Schutz und Erhalt der Umwelt natürlich implizit die Idee der Nachhaltigkeit beinhaltet.
Für die meisten von uns ist der Begriff der Nachhaltigkeit mit dem Brundtland-Bericht bekannt geworden, der 15 Jahre später erschienen ist. Dort wurde nachhaltige Entwicklung verstanden als
eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generationen entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.
Es ging also um gegenwärtige und zukünftige soziale und wirtschaftliche Bedürfnisse. Mit anderen Worten, die Idee einer nachhaltigen Entwicklung bezog sich nicht mehr auf eine ökologische Dimension allein, sondern umfasst seitdem auch eine soziale und eine ökonomische Dimension. Heute, im Kontext der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, wird in diesem Zusammenhang von den „drei Säulen“ der Nachhaltigkeit gesprochen.
Wie ist in diesem Zusammenhang der Inhalt der UNESCO-Welterbe-Konvention zu interpretieren? Bereits in deren Präambel heißt es im ersten Satz,
dass das Kulturerbe und das Naturerbe zunehmend von Zerstörung bedroht sind, nicht nur durch die herkömmlichen Verfallsursachen, sondern auch durch den Wandel der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, der durch noch verhängnisvollere Formen der Beschädigung oder Zerstörung die Lage verschlimmert.
Ohne die Protokolle der Debatten von 1972 näher zu kennen, kann davon ausgegangen werden, dass zwischen vier Fällen unterschieden wurde, welche die „Nachhaltigkeit“ gefährden:
- der allgemein übliche Verfall, verursacht durch Wetter- und Klimaveränderungen;
- der Verfall oder die Zerstörung, hervorgerufen durch soziale oder wirtschaftliche Bedingungen wie Hunger und Armut sowie alle Arten der "Modernisierung", unternommen unter extrem liberalisierten Marktbedingungen;
- der Verfall oder die Zerstörung, hervorgerufen durch Naturkatastrophen wie Erdbeben, Erdrutsche, Klimawandel, etc.; und
- die Beschädigung, der Verfall und die Zerstörung, verursacht durch die Menschen, wie einerseits durch den ungeregelten kulturellen Tourismus und andererseits durch militärische Auseinandersetzungen.
Studiert man die Welterbekonvention gründlicher, so lässt sich feststellen, dass im Artikel 11 Absatz 4 im Zusammenhang mit der "Liste es gefährdeten Erbes der Welt" sehr deutlich die Gefahren benannt werden, welche den Erhalt bedrohen:
…, z.B. Gefahr des Untergangs durch beschleunigten Verfall, öffentliche oder private Großvorhaben oder rasch vorangetriebene städtebauliche oder touristische Entwicklungsvorhaben; Zerstörung durch einen Wechsel in der Nutzung des Grundbesitzes oder im Eigentum daran; größere Veränderungen auf Grund unbekannter Ursachen; Preisgabe aus irgendwelchen Gründen; Ausbruch oder Gefahr eines bewaffneten Konflikts; Natur- und sonstige Katastrophen; Feuerbrünste, Erdbeben, Erdrutsche; Vulkanausbrüche; Veränderungen des Wasserspiegels, Überschwemmungen und Sturmfluten.
Die Präambel zur Konvention betont weiterhin, "dass der Verfall oder der Untergang jedes einzelnen Bestandteils des Kultur- oder Naturerbes eine beklagenswerte Schmälerung des Erbes aller Völker der Welt darstellt". Heute würden wir sagen, dass sämtliche Kultur- und Naturerbestätten als „Gemeingüter“ oder besser noch als „globale Gemeingüter“ zu behandeln sind und dass die Weltgesellschaft insgesamt verpflichtet ist, am Erhalt der Erbestätten teilzunehmen, wie es auch in der Präambel später heißt. Wir alle sind aufgefordert, uns hier im Sinne eines aufgeklärten Weltbürgertums zu engagieren.
Ein Blick in die rechtlichen Vorschriften der Konvention führt zu interessanten Ergebnissen, in denen Optionen und Verpflichtungen zugleich zum Ausdruck kommen.
Im Artikel 4 wird die Verantwortung eines jeden Vertragsstaates betont, "Erfassung, Schutz und Erhaltung in Bestand und Wertigkeit des in seinem Hoheitsgebiet befindlichen, in den Artikeln 1 und 2 bezeichneten Kultur- und Naturerbes sowie seine Weitergabe an künftige Generationen sicherzustellen" (Hervorhebung vom Verfasser). Das heißt, dass der Staat verpflichtet ist, "hierfür alles in seinen Kräften Stehende" zu tun.
Hier taucht sofort die Frage auf, wie der "Staat" zu definieren ist. Eine erste Antwort finden wir in Artikel 5 a), in dem es heißt, dass jeder Vertragsstaat eine allgemeine Politik verfolgen soll, "die darauf gerichtet ist, dem Kultur- und Naturerbe eine Funktion im öffentlichen Leben zu geben und den Schutz dieses Erbes in erschöpfende Planungen einzubeziehen". Mit anderen Worten, Nominierungen von Welterbestätten sollen nicht ohne Konsultation und Mitwirkung der Menschen auf der lokalen Ebene und interessierten NGOs erfolgen.
Schließlich soll noch auf Artikel 27 aufmerksam gemacht werden, in dem auf die Bedeutung von Bildung und Information hingewiesen wird: "Die Vertragsstaaten bemühen sich unter Einsatz aller geeigneten Mittel, …, die Würdigung und Achtung des in den Artikeln 1 und 2 bezeichneten Kultur- und Naturerbes durch ihre Völker zu stärken". Damit wird zugleich eine Verpflichtung zu einer Bildung für nachhaltige Entwicklung im Sinne der UNESCO postuliert, die es konkret umzusetzen gilt.
Aber ein Blick in die Vorschriften der Welterbe-Konvention reicht natürlich nicht aus. Wir müssen auch in die "Richtlinien für die Durchführung des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt" schauen, die von Zeit zu Zeit aktualisiert werden, um neue Konzepte und Erfahrungen gebührend berücksichtigen zu können (die letzte Fassung stammt vom 2. Juni 2015).
Die Paragraphen über "Partner beim Schutz des Welterbes" enthalten folgende wichtige Hinweise:
- In Paragraph 19 heißt es: "Ein partnerschaftlicher Ansatz bei der Anmeldung, der Verwaltung und der Überwachung leistet einen bedeutenden Beitrag zum Schutz der Welterbegüter und der Durchführung des Übereinkommens". Mit anderen Worten, eine Partnerschaft sollte in sämtlichen Stadien vom Antrag zur Nominierung bis zur Mitwirkung am Erhalt verwirklicht werden.
- Die Frage, um welche "Partner" es handelt, wird im folgenden Paragraphen 40 beantwortet; es können „alle Einzelpersonen oder andere Akteure sein, insbesondere lokale Gemeinschaften, indigene Völker, staatliche, nichtstaatliche und private Organisationen und Eigentümer, die an der Erhaltung und Verwaltung eines Welterbeguts interessiert und beteiligt sind“.
Beim Verfahren für die Eintragung in die Welterbe-Liste heißt es in Paragraph 123 sehr deutlich, dass die Teilnahme aller in Paragraph 40 genannten Akteure von entscheidender Bedeutung sei, "damit sie später die Verantwortung für die Erhaltung des Gutes mit dem Vertragsstaat teilen können". Die Vertragsstaaten werden ermutigt, die Anmeldung "mit der größtmöglichen Beteiligung der Akteure vorzubereiten".
Wie bereits oben erwähnt, geht es um die aktive Beteiligung aller Interessierten von "unten nach oben" und nicht umgekehrt - beginnend mit der Bewerbung, danach mit der Verwaltung und Erhaltung. In der Tat handelt es sich hierbei auch um die Inanspruchnahme und Verwirklichung unserer Kultur- und Menschenrechte.
Klaus Hüfner
Bild zur Meldung: Logo des UNESCO-Welterbes
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