Muss die UNESCO pleite gehen?
Ein Kommentar von Prof. Klaus Hüfner |
"Click online and donate to UNESCO: www.unesco.org/donate" so lautet der Hilferuf der UNESCO, die Ende 2011 einen Notstands-Fonds eingerichtet hat. Er richtet sich an alle Mitgliedstaaten, öffentlichen Institutionen und Stiftungen sowie an alle (Welt-)Bürgerinnen und -Bürger. Etwa 28,5 Mio. US-Dollar wurden bis Ende März 2012 zusammengebettelt; weitere 11,0 Mio. US-Dollar wurden angekündigt.
Schuld an der Finanzmisere ist die Aufnahme Palästinas durch die 36. Generalkonferenz, die am 31. Oktober 2011 mit 107 Ja-Stimmen bei 14 Gegenstimmen und 53 Enthaltungen erfolgte. Dieses Ergebnis überraschte, weil die USA von vornherein erklärten, dass sie aufgrund innerstaatlicher Gesetzgebung keiner internationalen Organisation, der Palästina angehört, Beiträge zahlen dürfen. Zugleich betonte die US-Administration, dass sie nicht austreten werde; kurz darauf ließ sie sich sogar auf weitere vier Jahre in den UNESCO-Exekutivrat wählen. Damit steht fest, dass die USA ihre Schulden an die Organisation früher oder später begleichen müssen. Offen bleibt nicht nur, wann dies erfolgt, sondern auch, ob die USA Schuldzinsen zahlen müssen und wie hoch der Zinssatz ist.
Sekretariat und Exekutivrat der UNESCO haben sich aber zu einer Politik des Abwartens entschieden, die einerseits verständlich ist, wenn man berücksichtigt, dass in diesem Jahr die Wiederwahl des US-amerikanischen Präsidenten, Barack Obama, möglich ist und dass im kommenden Jahr die Wiederwahl der Generaldirektorin, Irina Bokova, auf weitere vier Jahre ansteht.
Aber kann die Organisation ihre wichtigen Aufgaben im UN-System tatsächlich erfüllen, wenn als einzige Reaktionen auf das völkerrechtswidrige Verhalten der USA lediglich drei Maßnahmen die Politik der UNESCO bestimmen? Neben
1) der Einrichtung des bereits erwähnten Notstands-Fonds gilt es,
2) die Mitgliedstaaten daran zu erinnern, ihre Pflichtbeiträge pünktlich und vollständig bis Ende Januar des Jahres zu zahlen und
3) Sparmaßnahmen aller Art einzuführen, die von Streichungen unbesetzter Stellen (75 Prozent), Halbierung der Zeitverträge, Senkung der Reisekosten um zwei Drittel bis zur Kürzung des verabschiedeten ordentlichen Haushalts- und Arbeitsprogramms um 20 Prozent reichen.
In der Tat haben zahlreiche Mitgliedstaaten ihre Pflichtbeiträge früher als in vergangenen Jahren gezahlt. Bis Ende März 2012 hat die Organisation insgesamt 148 Mio. US-Dollar erhalten; dies entsprach 45 Prozent gegenüber 31 Prozent im ersten Quartal 2011. Auch Deutschland hat 2012 seinen Pflichtbeitrag in Höhe von 25,3 Mio. US-Dollar vollständig gezahlt. Mit diesen mehr oder weniger pünktlichen Zahlungen werden ohne Zweifel kurzfristige Probleme der Kassensituation überbrückt, die sich bis spätestens zum Herbst 2012 als hilfreich erweisen.
Es handelt sich um eine notwendige, aber keinesfalls hinreichende Maßnahme. Was soll aber dann erfolgen, wenn die 22 Prozent des US-Betrages zum ordentlichen Haushalt weiterhin ausbleiben? Die 28,5 Mio. US-Dollar, die bis Ende März 2012 in den Notstands-Fonds geflossen sind, kamen größtenteils von drei Staaten: Congo 3,1; Katar 20,0 und Türkei 5,0 Mio. US-Dollar. Dabei ist zu erwarten, dass sie für zweckgebundene Projekte eingesetzt werden. Auf jeden Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass weitere freiwillige Zahlungen den Ausfall durch die USA kompensieren werden.
Obwohl feststeht, dass die USA früher oder später ihre Beitragsschulden begleichen müssen, wurde bisher nicht thematisiert, welche mittel- und langfristigen Konsequenzen sich für die UNESCO als Organisation ergeben, wenn es bei diesen drei Maßnahmen bleiben sollte. Denn bei einer weiterhin geschrumpften, aber noch lebensfähigen Organisation bestünde Ende 2013 überhaupt kein Bedarf auf Nachzahlung der 71,8 Mio. US-Dollar für 2011 und der 2x75,5 Mio. US-Dollar (=151 Mio. US-Dollar) für 2012-2013 durch die USA, die verpflichtet sind, 22 Prozent zum ordentlichen Haushalt beizutragen.
Im Unterschied zum 31. Dezember 1984, als die USA aus der Organisation ausgeschieden sind, bestehen diesmal eindeutige Rechtsansprüche der UNESCO, solange die USA ihre Mitgliedschaft aufrechterhalten. „No representation without taxation" – so lautet die allen Politikern in den USA bekannte, historisch belegte Forderung.
Daher lautet mein erster Vorschlag, dass die UNESCO von ihrem Recht Gebrauch macht, beim Internationalen Gerichtshof ein Rechtsgutachten („advisory opinion") einzuholen. Damit kann zwar ein Rechtsanspruch nu betont und nicht eingelöst werden, aber die politische Wirkung sollte nicht außer Acht gelassen werden.
Ein zweiter, weitergehender Vorschlag ist ökonomischer Art, bedarf aber der politischen Entscheidungsfindung. Davon ausgehend, dass die Verabschiedung der Arbeits- und Haushaltspläne für die Jahre 2010-2011 und 2012-2013 auch von den USA mitgetragen wurde, gilt es jetzt, Finanzierungsmechanismen zu entwickeln, um die Zwei-Jahres-Pläne in vollem Umfang umzusetzen. Mit anderen Worten: Bis die USA ihre Pflichtbeiträge bezahlen, müssen Darlehensmechanismen greifen, um den vorübergehenden Ausfall von 22 Prozent der veranlagten Pflichtbeiträge zu kompensieren. Offen bleibt dann lediglich die Frage nach der Höhe der Verzinsung. Neben den marktüblichen Zinssätzen, die der US-Verschuldung anzurechnen wären, sind aber auch zinslose Darlehen durch die anderen Mitgliedstaaten denkbar.
Sollte der Exekutivrat der UNESCO sich nicht zu einer entsprechenden Lösung durchringen können, wäre auch denkbar, dass Frankreich seine besondere Verantwortung als Gastland übernimmt und die Darlehensgewährung durch die Caisse des Dépôts et Consignations garantieren würde.
Die Behauptung, dass dies ein Weg in eine Schuldenorganisation, ein Weg ohne Umkehr sei, kann ich nicht teilen, denn die USA müssen auf jeden Fall zahlen, solange sie Mitglied in der Organisation bleiben. Außerdem steht die Organisation auf ihrer kommenden
Generalkonferenz 2013 vor großen Herausforderungen. Dabei geht es nicht nur um die Frage einer Wiederwahl der Generaldirektorin, sondern auch um die Verabschiedung einer neuen Mittelfriststrategie für die Jahre 2014-2021 mit neuen inhaltlichen Schwerpunkten.
Das Verhältnis der USA zu der UNESCO erfährt durch den Ausfall ihrer Zahlungen der Pflichtbeiträge zum dritten Mal eine krisenhafte Situation, welche die Organisation einer erneuten Schwächung aussetzt. Zwar ist es den USA durch ihren Austritt Ende 1984 nicht gelungen, die UNESCO in einen finanziellen Ruin zu treiben, aber die Narben der damals verursachten Einschränkungen sind bis heute sichtbar geblieben. Dies spiegelte sich unter anderem in dem enormen Personalabbau wider. Waren es 1984 noch rund 3400, so sind es heute weniger als 2000 Mitarbeiter/innen. Sank 1985 der ordentliche Haushalt um 25 Prozent, so erfolgte mit der Rückkehr der USA eine Steigerung des Haushaltsvolumens um lediglich 11 Prozent.
Daher ist es notwendig, über die oben genannten Vorschläge zur Darlehensaufnahme darüber hinausgehend zu diskutieren, ob der Höchstbeitrag zum ordentlichen Haushalt grundsätzlich auf 15 oder sogar 10 Prozent abgesenkt werden sollte, um die Existenz der Organisation durch einseitige Maßnahmen eines einzigen Mitgliedstaates nicht zu gefährden.
Der Autor ist Ehrenvorsitzender des Berliner Komitees für UNESCO-Arbeit, Ehrenmitglied der Deutschen UNESCO-Kommission und Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN). In diesem Beitrag äußert er seine persönliche Meinung.
Prof. Dr. Klaus Hüfner
Ehrenvorsitzender des Berliner Komitees für UNESCO-Arbeit
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